Die Ampel-Koalition wollte die Widersprüche in der Landwirtschaftspolitik auflösen. Nun kommt das Weltgeschehen dazwischen. Eine Analyse von Johannes Kuhn (Journalist und Blogger aus Berlin). Er arbeitet als Korrespondent für den Deutschlandfunk.
Es war etwas anders als sonst bei der Treckerparade der Bewegung „Wir haben es satt!“ im Januar. Nicht nur, weil die Proteste des Bündnisses aus Landwirten, Umwelt-, Natur- und Tierschutzverbänden erstmals während Corona stattfanden – und nur Bio- Landwirte aus dem Berliner Umland in die Hauptstadt kommen durften. Nein, dieses Mal wurden sie vor dem Landwirtschaftsministerium von einem Grünen-Minister und seinen Staatssekretärinnen erwartet. Man habe die gleichen Ziele, betonte Cem Özdemir in seiner Rede bei Eiseskälte. Der Gegensatz zwischen bäuerlichen Interessen und Tierschutz, Klimaschutz und Artenschutz sei ein künstlicher.
„Das Oder muss raus und durch ein Und ersetzt werden“, so Özdemir zu den Demonstrierenden. „Das ist die Leitlinie dieses Hauses, das hinter euch steht.“ Wenige Tage zuvor war der Schwabe in einer Bundestagsdebatte noch deutlicher geworden: „Ich bin nicht bereit, ein ausbeuterisches System einfach weiter hinzunehmen, das auf Kosten der Menschen geht, das auf Kosten der Tiere geht, das auf Kosten der Umwelt geht und das auf Kosten des Klimas geht.“ Özdemir ist ein thematischer Quereinsteiger mit großen Plänen. Pläne, deren Verwirklichung durchaus der Quadratur des Kreises gleichen: Lebensmittel zu „Ramschpreisen“ will er bekämpfen und gleichzeitig dafür sorgen, dass sich alle Menschen höherwertige Lebensmittel leisten können. Bessere Einkommen für Bauern hat er sich ebenso zum Ziel gesetzt wie eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft. Druck kommt nicht nur von den Verbänden und der Lebensmittelindustrie, sondern auch durch externe Faktoren wie der klimabedingten Trockenheit und der gegenwärtigen Inflation. Hinzu kommen unerwartete Ereignisse wie der Ukraine-Krieg und die damit einhergehenden Preissprünge bei Getreide und Düngemittel. So forderte Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) Anfang März bereits, die Umweltauflagen in der Landwirtschaft zu lockern. Zum Beispiel die Verpflichtung, 20 Prozent unter Bedarf zu düngen und wie von der EU vorgesehen vier Prozent der Ackerfläche brach liegen zu lassen. Auch die FDP hat bereits dafür plädiert, die Umsetzung der europäischen Klima- und Landwirtschaftsvorgaben zu überprüfen: Ernährungssicherheit müsse flächendeckend gewährleistet sein, so das Argument. Auch das Thema gentechnisch veränderte Züchtungen, das für die Grünen ein Reizthema ist, könnten die Liberalen wieder auf die Tagesordnung setzen. Denn dass Effizienzgewinne Priorität bekommen, ist abzusehen, sollte der Krieg länger anhalten.
Bislang betonen SPD und Grüne, beim Umbau der Landwirtschaft Kurs halten zu wollen: Sie wollen, dass mehr Getreide auf dem Teller und nicht im Futternapf landet. Und auch am Ziel, die Fläche für Bio-Landbau bis 2030 auf 30 Prozent zu verdreifachen, halten sie fest. Allerdings ist bei solchen Zielmarken, die ja in die übernächste Legislaturperiode fallen, ein gedrosseltes Anfangstempo eine beliebte politische Taktik. Der Druck, aufzuholen, läge dann bei den nächsten Regierungen. Der erste Realitätscheck für die Ampel-Landwirtschaftspolitik wird bis Ostern erwartet: Dann will die Regierung Eckpunkte für ein „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ vorlegen. Im Laufe des Jahres dann soll das verbindliche Tierwohl-Kennzeichen für Fleischprodukte folgen. Dann muss auch geklärt sein, woher Landwirte die 3,6 Milliarden Euro erhalten, die jährlich für den artgerechten Umbau ihrer Ställe veranschlagt werden. Auch das stets brisante Thema Düngemittelverordnung hat mit den ernährungspolitischen Folgen des russischen Einmarschs in der Ukraine wieder an Schärfe gewonnen. Und nicht zuletzt geht es für die neue Bundesregierung darum, die noch unter der Vorgängerregierung abgestimmte Umschichtung der EU-Fördermittel geschickt für die eigenen Nachhaltigkeitsziele zu nutzen. Immerhin: Anders als in den vergangenen Legislaturperioden arbeiten Umwelt- und Landwirtschaftsministerium nun miteinander, nicht gegeneinander. Mit Umweltministerin Steffi Lemke weiß Özdemir eine Parteifreundin im Amt. Dass Özdemir in seinen ersten Monaten seiner Amtszeit die Preise für Agrarprodukte betonte und nicht etwa die bündnisgrünen Kernthemen Pestizideinsatz, Stickstoffsteuer oder Fundamentalopposition zur Massentierhaltung, gilt zudem als geschickt gesetztes Signal. Dieses Verständnis für bäuerliche Belange ist allerdings nicht mit Handlungsspielraum zu verwechseln, wenn es um Themen wie die Marktmacht der Handelskonzerne bei der Preisgestaltung geht. Denn auch in der Landwirtschaftspolitik müssen SPD, Grüne und FDP aus recht unterschiedlichen Haltungen am Ende Kompromisse schmieden. Das kann eine Chance sein, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen: Trotz des demonstrativen Pragmatismus der neuen Bundesregierung wird die Modernisierung der Landwirtschaft nicht ohne gesellschaftliche Konflikte vonstattengehen. Vor allem dann, wenn sich Probleme einmal nicht mit Geld lösen lassen, sondern es um handfeste Vorschriften und Gesetze geht.
kopfzeiler.org
Johannes Kuhn ist Journalist und Blogger. Er lebt in Berlin und arbeitet als Korrespondent für den Deutschlandfunk, Schwerpunkte Digitalpolitik und Linkspartei. Davor war er zehn Jahre bei der @SZ (Süddeutsche Zeitung), unter anderem fünf Jahre als Online-Korrespondent aus den USA (San Francisco, New Orleans, Austin). Davor wiederum war er Community-Redakteur bei Zeit Online in Hamburg und Berlin.