Warum ist der Flächenverbrauch ein Problem? Hier einige Beispiele.
In ökologischer Hinsicht geht es vor allem um den Verlust an Biodiversität, beispielsweise durch die Zerschneidung von Landschaften – obwohl sich unter der öffentlichen Aufmerksamkeitsschwelle bewegend, dies eine mindestens genauso große Gefahr wie der Klimawandel darstellt.
Es geht weiter um den Verlust von Überschwemmungs- und landwirtschaftlichen Flächen. Letztere sehen sich einem immer stärkeren Nutzungsdruck ausgesetzt: Der Ausbau erneuerbarer Energien bedeutet, dass die zuvor aus der Erde geförderte, sehr kompakte fossile Energie nunmehr über der Erde – unter extensiver Landnutzung – bereitgestellt werden muss.
Der hohe Fleischkonsum in entwickelten Ländern, die wachsende Bioökonomie – ja selbst die ökologische Landwirtschaft heizen ebenfalls den Bedarf an Agrarflächen an. Die entwickelten Länder – darunter auch Deutschland – können ihren Hunger nach Flächen nicht mehr auf dem eigenen Gebiet stillen. Wenn die grüne Lunge der Welt – der Amazonas – brennt, hängt dies nicht zuletzt mit „virtuellen Flächenimporten“ (Anbau von Soja etc.), auch durch Deutschland, zusammen. Je stärker der Druck, der durch die wachsenden Siedlungs- und Verkehrsflächen auf die Agrarflächen ausgeübt wird, umso mehr werden diese Fehlentwicklungen befördert. In Bezug auf die soziale Dimension benötigt z. B. eine alternde Bevölkerung auch in abgelegenen Splittersiedlungen Pflege und anderweitige Unterstützung – beispielsweise bei Einkäufen, wenn es auf den Dörfern keine Läden mehr gibt. Dies alles ist deutlich teurer als bei kompakter Besiedelung. Nicht nur Alleinerziehende, auch Berufstätige mit Kindern sind zudem auf Kinderbetreuungeinrichtungen angewiesen, die sich aber bei einer dispersen Besiedelung kaum rechnen. Ebenso ist es den Kindern nicht zuzumuten, stundenlange Wege zur Schule in Kauf zu nehmen. Was die ökonomische Perspektive betrifft, so brauchen auch Streu- und Splittersiedlungen Infrastruktur. Es geht um Straßen, Kanäle, Kabel, Feuerwehrhäuser. Auch Streusiedlungen wollen an das Internet und den Mobilfunk angeschlossen sein. All dies kostet.
Die Infrastruktur muss gelegt, aber auch gepflegt werden. Die immer höheren Kosten hierfür, müssen immer weniger Arbeitnehmer über ihre Abgaben schultern. In der Abgabenbelastung von Arbeitnehmern nimmt Deutschland mittlerweile international einen Spitzenplatz ein, was den Faktor Arbeit nicht wettbewerbsfähiger macht (OECD 2021).
Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung sah ursprünglich ein Flächenverbrauchsziel von 30 Hektar pro Tag bis 2020 vor. Dieses Ziel wurde krachend verfehlt und auf das Jahr 2030 verschoben, möglichst mit darüber hinausgehenden Minderungen. Das Ziel für 2050 ist eine Flächenkreislaufwirtschaft mit einem Flächennettoverbrauch von Null (Umweltbundesamt 2022). Soweit der Wunschzettel. Derzeit liegt der tägliche Flächenverbrauch immer noch bei rund 56 Hektar – wir sind also noch weit weg vom Ziel.
Gründe für den zu hohen Flächenverbrauch.
Ein „Einfrieren“ des Flächenverbrauchs ist gegenwärtig unrealistisch. Dynamische, große Städte platzen aus allen Nähten, und ohne die Umwidmung zusätzlicher Flächen in den bisherigen Außenbereichen kann der dringend benötigte zusätzliche Wohnraum nicht zur Verfügung gestellt werden. Die Adaption der Städte an den Klimawandel setzt dabei Nachverdichtungsstrategien immer engere Grenzen – genauso wie Wohnungen wird auch in den Städten flächenextensive grüne und blaue Infrastruktur (Stichworte: „Mikroklima“, „Schwammstadt“) benötigt. Der Haken ist, dass der größte Teil des Flächenverbrauchs an den falschen Stellen stattfindet – gerade eben nicht dort, wo der größte Bedarf an Wohnraum besteht. Die Gründe hierfür sind vielfältig. So haben die Kommunen – grundgesetzlich garantiert – das letzte Wort bei der Bauleitplanung. Allerdings sind sie nicht der neutrale Sachwalter, der sie eigentlich sein sollten – wenn z. B. das Baugesetzbuch in § 1 Abwägungsentscheidungen bei der Bauleitplanung einfordert.
Zu häufig gehen die Abwägungsprozesse zugunsten von neuen Baugebieten aus, da mit diesen potenziell höhere kommunale Einnahmen verbunden sind, als mit landwirtschaftlichen Flächen (Zuweisungen aus der
Einkommensteuer, Grundsteuer, evtl. Gewerbesteuer). Das Wort „potenziell“ ist hierbei entscheidend, denn entgegen den Maßgaben der Gemeindehaushaltsordnungen, kümmern sich die Kommunen in den seltensten Fällen darum, ob sich ein Baugebiet am Ende auch wirklich rechnet. Auch die Kommunalaufsichtsbehörden entwickeln bislang kaum Druck in diese Richtung – faktisch handelt es sich hier weitgehend um totes Recht. Dies müsste nicht sein – gibt es doch Instrumente (wie z. B. den Folgekostenrechner Rheinland-Pfalz, http://www.folgekostenrechner-rlp.de/) – die hier zum Einsatz gebracht werden könnten. Ob und wie weit dies geschieht, steht derzeit jedoch im freien Ermessen der Kommunen. So entwickelt sich nicht selten ein wilder, unkoordinierter Bürgermeisterwettbewerb um neue Einwohner und Unternehmen, die es gar nicht in der Zahl gibt, wie für sie neue Baugebiete ausgewiesen werden.
Vorschub wird solchen Fehlentwicklungen auch durch den § 13b Baugesetzbuch geleistet, der die Neuausweisung von Baugebieten in vereinfachter Form – ohne baurechtlichen Eingriffsausgleich – gestattet. Vorgesehen war er eigentlich, um die Wohnungsnot in Ballungsräumen zu mindern. Allerdings wird er gerade von Großstädten kaum angewandt, sondern eher von kleineren und mittelgroßen Gemeinden ohne angespannten Wohnungsmarkt. Dabei stellte seine Anwendung keineswegs eine Ausnahme dar, sondern entwickelte sich immer mehr zur Regel. Der § 13b BauGB, dem viele Juristen Europarechtswidrigkeit bescheinigen, wurde durch das Baulandmobilisierungsgesetz noch einmal bis Ende 2022 verlängert.
Doch auch von privater Seite wurde in der Vergangenheit Druck auf Baulandneuausweisungen ausgeübt. Mit Bezug auf Landwirte spricht man gerne von der „vierten Fruchtfolge“: Über eine Umplanung von Acker- in Bauland kann der Wert des Bodens quasi über Nacht um das 50-fache, manchmal um das 100-fache gesteigert werden. Immer wieder hört man von Fällen, in denen offenbar Eigentümer der landwirtschaftlichen Grundstücke auch Einfluss auf die Gemeinderäte dahingehend nehmen, eine Umplanung vorzunehmen. Allerdings dürfte der betreffende Druck, während der Niedrigzinsphase im letzten Jahrzehnt abgenommen haben. Denn selbst, wenn das Land teuer verkauft werden kann: Was dann tun mit dem Verkaufserlös? Dann doch lieber weitere Bodenwertzuwächse erzielen und den Boden behalten. Allerdings ist wegen der sich gerade ändernden Kapitalmarktsituation nicht davon auszugehen, dass dies in Zukunft auch so bleibt.
Und nun?
Die Möglichkeiten.
Doch wie den Fehlentwicklungen entgegenwirken? Ein Ansatzpunkt ist natürlich die Planung. So sollten die Raumordnung und Landesplanung bewährte Leitbilder wie die dezentrale Konzentration und die koaxiale Entwicklung wieder ernster nehmen. Ein in vielen Bundesländern zu wenig genutztes Instrumentarium ist die Aktualisierung der Landesentwicklungsprogramme, über welche grundsätzlich die Umwandlung bestimmter Flächen ein Riegel vorgeschoben werden könnte. Auch sollte Ende 2022 mit § 13b BauGB endgültig Schluss sein. Der Vorrang der Innen- vor Außenentwicklung darf nicht nur auf dem Papier (Baugesetzbuch) stehen. Um dies ökonomisch zu unterstützen, wäre eine bundesweite Einführung einer Bodenwertsteuer ein wirksames Instrument gewesen, verbunden mit einer Umschichtung von anderen Steuern auf die Grundsteuer. Hiermit hätte man eine Mobilisierung und effizientere Nutzung der Flächen im Innenbereich bewirken können. Zudem wirkt eine Bodenwertsteuer dämpfend auf die Bodenpreise. Instrumente wie das kommunale Vorkaufsrecht sind dann von den Kommunen leichter einsetzbar, um die Innenentwicklung voranzutreiben. Freilich müsste der Anwendungsbereich des kommunalen Vorkaufsrechts deutlich erweitert werden. Doch Konjunktive sind geduldig: Die Chance „Grundsteuerreform“ wurde leichtfertig im Rahmen einer unglaublich engstirnig und unter dem Einfluss der Immobilienlobby geführten Diskussion vertan. Lediglich in Baden-Württemberg wurde eine Bodenwertsteuer eingeführt. Allerdings wird diese nicht über eine homöopathische Dosierung hinausgehen können. Diskutabel ist auch die Einführung eines Planungswertausgleichs (BMI 2019, S. 69-72). Während hierzulande Planungsschäden grundsätzlich kompensiert werden müssen, werden Planungsgewinne privatisiert (Ausnahme: Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen). Müsste jedoch ein großer Teil der planungsbedingten Bodenwertgewinne wieder abgeführt werden, würde der Druck von Grundstückseigentümern auf die Gemeinden sinken, Flächenkonversionen vorzunehmen. Allerdings sind mit diesem Instrument auch eine Reihe von Problemen verbunden, die hier nicht diskutiert werden können. Dies gilt auch für die Bodenwertzuwachssteuer, die dem Planungswertausgleich ähnelt und nicht mit der Bodenwertsteuer verwechselt werden darf. Gegenüber der Bodenwertsteuer sind diese Instrumente nur die zweite Wahl.
Das Rezept?
Finanzielle Hürden schaffen für überhöhte Baulandneuausweisung.
Von großer Bedeutung wäre eine Stärkung der regionalen Steuerungsebene, die in Deutschland kaum Kompetenzen besitzt. Durch regionale Infrastruktur- und Bodenfonds könnten die Baulandausweisungen dahin-gehend gesteuert werden, dass sie vor allem dort stattfinden, wo sie wirklich notwendig sind. Auch ökonomische Instrumente könnten auf regionaler Ebene eingesetzt werden. Eines davon ist die „Baulandausweisungsumlage“ (Krumm 2005): Für jeden Quadratmeter zusätzlich ausgewiesenes Baugebiet zahlen die Kommunen einer Region in einen gemeinsamen Fonds ein. Dessen Mittel werden im Anschluss wieder an die teilnehmenden Kommunen zurückverteilt, wobei als Schlüssel die Bevölkerungsgröße dient. Der Effekt: Kommunen werden nur dann Baulandneuausweisungen vornehmen, wenn sie wirklich notwendig sind. Kommunen mit überdurchschnittlichen Baulandneuausweisungen zahlen mehr in den Fonds ein, als sie zurückbekommen. Kommunen mit einem geringen Flächenverbrauch bekommen mehr zurück, als sie in den Fonds eingezahlt haben.
Auch in der Diskussion, aber wenig geeignet erscheinen handelbare Flächenausweisungszertifikate. Hier wird die Idee handelbarer Emissionsrechte für Treibhausgase auf die Fläche übertragen. Kommunen, welche neues Bauland ausweisen möchten, müssen an einer Art „Kommunalbörse“ erst einmal ein Ausweisungsrecht von anderen Kommunen erwerben. Das „Aber“: Für das Klima ist es egal, wo CO2 emittiert wird. Es geht hier um die Steuerung eines Emissionsniveaus. Bei der Fläche geht es hingegen um die Steuerung der Raumstruktur. Wohnflächen, Verkehrsflächen, Friedhofsflächen etc. müssen geplant werden. Mit einem einheitlichen Preis für ein universelles Flächenzertifikat (Siedlungs- und Verkehrsflächen) lässt sich aber die Raumstruktur nicht steuern (Loehr 2021). Hierfür bedürfte es – zumindest bei der gegenwärtigen funktionalen Differenzierung der Planung – einer Vielzahl von Teilmärkten mit eigenständigen Zertifikaten für Wohnnutzungen, gewerbliche Nutzungen etc. Ohne eine solche Marktsegmentierung würden die preislichen Anreize die planerischen Festlegungen konterkarieren. Mit einer Marktsegmentierung wären andererseits aber die jeweiligen Teilmärkte so klein, dass der Handel nicht effizient und effektiv funktionieren kann. Die Idee handelbarer Flächenausweisungsrechte wird derzeit wieder im Rahmen der Vorbereitung eines Volksantrags in Baden-Württemberg aufgegriffen. Sie führt aber auf einen Holzweg.
Nicht zuletzt handelt es sich auch um eine kulturelle Frage. So hatte es Anton Hofreiter (Bündnis 90/Grüne) zu Beginn des Jahres 2021 gewagt, die Zukunft der Einfamilienhäuser in Frage zu stellen. Man kann von Hofreiter halten, was man will: Er hatte Recht damit. Weder mit Blick auf den Flächenverbrauch, den CO2-Ausstoß, noch bezüglich der sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen, ist der weitere Zubau von Einfamilienhäusern in einem Maße wie bisher zukunftsfähig. Dennoch ist es seitens der Politik schwierig, sich dem verständlichen Wunsch nach einem Eigenheim mit Garten entgegenzustellen und kompaktere Wohnformen gegen den Willen vieler Bürger durchzusetzen.
Der Plan?
Druck auf die Politik ausüben.
Für Politiker ist Flächenhaushaltspolitik ein undankbares Betätigungsfeld. Hier gibt es kaum etwas zu verteilen, sondern vor allem zu beschränken und wegzunehmen. Politisch kann man nur verlieren. Dies ist mit Blick auf die angestrebte Neu- oder Wiederwahl Gift. Politiker fassen daher das Thema genauso gerne an wie eine
heiße Kartoffel. Noch mehr als sonst reagiert die Politik hier auf Fehlentwicklungen, sie agiert, aber nicht proaktiv. Gerade deswegen bedarf es Druck aus der Zivilgesellschaft auf die Politik, damit es auf diesem Feld vorangeht.
Der Autor
Prof. Dr. Dirk Löhr, MBA
Professor für Steuerlehre
und Ökologische Ökonomik,
Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld
Fotostudio Sauer, St. Wendel