Die Reaktivierung regionaler Altobstwiesenbringt uns ein Stück Naturkultur zurück.

An vielen Stellen in der Pfalz werden derzeit Streuobstwiesen-Projekte von Privatpersonen, Kommunen, Naturschutzverbänden und örtlichen Initiativen in Angriff genommen.
Lange in Vergessenheit geratene Altbestände werden dabei wieder liebevoll aufgepäppelt
und gepflegt.

Von Rainer Rausch, ausgewiesener Obstkenner und Mitglied im Pomologen Verein.

Apfelsaft naturtrüb
und gut isT ?
tappen Sie nicht in die
konzentrat-falle!

Für Außenstehende ist es nicht gleich erkennbar: Streuobstwiesen weisen zahlreiche nach-
haltige Aspekte auf, die ganz unterschiedlicher Natur sind!
Im Vordergrund stehen hierbei sowohl ökologische Aspekte wie die Förderung der Artenvielfalt bei Flora und Fauna als natürlich auch die Gewinnung von frischem, unbehandeltem Obst für den Verzehr oder zur Verarbeitung zu Saft, Wein, Destillaten, Dörrobst, Kompott und Marmelade. „Saft aus Konzentrat“: Das ist auf vielen Apfelsaftflaschen zu lesen. Das Konzentrat kommt dabei oft aus osteuropäischen Ländern oder aus China. Es ist – vorsichtig ausgedrückt – nicht damit zu rechnen, dass die Äpfel in diesen Fällen von naturbelassenen Obstwiesen stammen. Sie kommen aus Niederstammanlagen, in denen Pflanzenschutzanwendungen
mit Fungiziden, Herbiziden und Insektiziden stattfinden – im Schnitt über 31 pro Vegetationsperiode.
Der gewonnene Saft wird zu einem Konzentrat eingedickt, über große Entfernungen zu uns gebracht, dann verdünnt, unter anderem mit Apfelaroma versetzt und mit Ascorbinsäure aufgehübscht. Derartig hergestellte Säfte weisen immer einen gleichbleibenden Geschmack auf. Für Unternehmen mag sich das rentieren, betragen doch die landwirtschaftlichen Lohnkosten in Polen nur ein Fünftel und in China ein Zwanzigstel gegenüber Deutschland. Aufgrund des hohen Energieverbrauchs und der weiten Transportwege fällt die Klimabilanz solcher Säfte jedoch negativ aus. „In Deutschland hergestellt“ ist wiederum auf anderen Flaschen zu lesen. Die dabei verwendeten Äpfel müssen jedoch nicht unbedingt hier gewachsen sein!
Am nachhaltigsten sind daher naturtrübe Direktsäfte von ungespritzten Streuobstwiesen der Region. Hier entfallen lange Transportwege ebenso wie eine energieaufwendige Herstellung von Konzentraten.

Gesundheit im Glas ?
Naturtrüber Apfelsaft
ist ein wichtiger Beitrag
für die gesunde Ernährung.

„Apfelsaft schmeckt nicht nur gut – Apfelsaft ist auch gesund. Denn bestimmte Inhaltsstoffe von Äpfeln und Apfelsaft, die sekundären Pflanzenstoffe, haben einen positiven Einfluss auf den Darm. Sie können – zumindest im Tiermodell – der Entstehung von Darmkrebs entgegenwirken, tragen zur Entgiftung bei und verringern die Freisetzung von schädlichen Sauerstoffverbindungen. Gegen entzündliche Darmerkrankungen hilft Apfelsaft nicht, heißt es in einer Mitteilung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung aus dem Jahr 2010. „Bei regelmäßigem Genuss kann Apfelsaft deshalb im Rahmen einer vollwertigen Ernährung einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung des Darms leisten“, schreibt das Ministerium. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der regelmäßige Konsum von Äpfeln beziehungsweise von Apfelsaft auch beim Menschen eine wichtige Rolle bei der
Vorbeugung von Tumorerkrankungen des Dickdarms spielen könnte“, erklärt Prof. Dr. Dr. Dieter Schrenk von der Technischen Universität Kaiserslautern und Leiter des Forschungsnetzwerks „Nutrition Net“, das von 2002 bis Ende 2009 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurde.
Und weiter: „In Versuchen mit Ratten aktivierte vor allem trüber Apfelsaft im Dickdarm der Tiere antioxidative Gene.” Diese Gene sind für das Abfangen und das Unschädlichmachen von freien Radikalen zuständig. Ähnlich funktioniert die schützende Wirkung des Apfelsaftes vermutlich auch beim Menschen. Professor Schrenk: „In einer Studie haben wir Patienten mit einem künstlichen Darmausgang untersucht, die jeden Tag einen Liter trüben Apfelsaft tranken. Besonders die Polyphenole im Apfelsaft konnten dabei den Dünndarm zum Teil unverändert passieren und behalten somit auch im Verdauungstrakt ihre antioxidative Wirkung.“

altobswiesen vor der haustür ?
klimatisch einwandfreie erholung.

Die Erhaltung alter Obstsorten als kulturelles Erbe früherer Züchter-Generationen und die Bereicherung der Orts- und Landschaftsbilder sind weitere nachhaltige Aspekte. Allerdings verengt sich durch die Verwendung nur weniger Apfelsorten zur Zucht deutlich der genetische Flaschenhals. Problematisch hierbei ist auch die Konzentration auf „Golden Delicious” als einen der zwei Elternteile. Die für viele Allergiker unverträgliche Sorte überträgt diese unvorteilhafte Eigenschaft auf ihre Nachkommen. Des Weiteren können in Zeiten des Klimawandels Streuobstwiesen als schützender Grüngürtel rund um menschliche Siedlungen eine wichtige Rolle zur Abfederung von Sturmereignissen und als abkühlendes Element spielen. „Bewohnerorientierte Klimaanpassungsmaßnahmen“ lautet hierfür der Fachbegriff. In Zeiten des Klimawandels, wo wie im Sommer 2022 heiße 40 Grad Fußgängern und Radfahrern entgegenschlagen können, gilt es, die Temperaturen im menschlichen Siedlungsbereich durch Begrünungsmaßnahmen erträglicher zu gestalten.
Wie sich in Zeiten von Corona gezeigt hat, können Streuobstwiesen auch als leicht erreichbare Naherholungsziele dienen, da sie meist an Ortsrändern angelegt wurden. Unbewusst stellt sich oft ein Wohlgefühl ein. Hinzu kommen ästhetische Aspekte wie die Farben, der Duft der Blüten und reifen Früchte, das Spiel und das Licht der vier Jahreszeiten.
Im Einklang mit der Natur –
Altobst fördert Mikro-Ökosysteme.

Streuobstwiesen sind Obstanbau im Einklang mit der Natur: Zahlreiche seltene Vogelarten wie beispielsweise Feldsperling, Gartenrotschwanz, Neuntöter, Rebhuhn, Steinkauz, Wendehals und Wiedehopf können auf Streuobstwiesen festgestellt werden. Dazu gesellen sich häufige Arten wie z. B. Fasan, Buntspecht, Goldammer, Nachtigall, Rotkehlchen, Turmfalke, Zaunkönig. Auch liebenswerte Kleinsäuger wie Igel, Eichhörnchen, Fledermäuse, Haselmäuse, Mauswiesel, Garten- und Siebenschläfer werden sich einfinden. Durch das gezielte Aufhängen von Nisthilfen kann die Artenvielfalt bei Vögeln, Fledermäusen und anderen Kleinsäugern nachhaltig gefördert bzw. stabilisiert werden. Insbesondere bei jungen Anlagen empfiehlt es sich, Nistmöglichkeiten zu installieren, da hier Altbäume mit natürlichen Höhlen fehlen. Je nach Obstart und -sorte können Brutmöglichkeiten nach drei bis fünf Standjahren der Bäume angebracht werden.

Was können wir tun ?
die Wiederansiedlung von Obstbaumwiesen unterstützen.

Die Neuanlagen bei Freinsheim (Kreis Bad Dürkheim) und Maikammer (Kreis Südliche Weinstraße) sowie die ergänzenden Nachpflanzungen in Altrip (Rhein-Pfalz-Kreis), Ludwigshafen-Oppau und Rhodt unter Rietburg (Kreis Südliche Weinstraße) sind nur einige Beispiele, die Mut machen. Unterstützen Sie die Wiederansiedlung und Reaktivierung alter Obstbaumwiesen in Ihren Gemeinden.