Finanzielle Mittel wieder regional zirkulieren lassen – so beginnt Rück-Überantwortung.

System overload? 
Weil das private Vermögen dem Kollektiv
nicht mehr zur Verfügung steht.

Von Thomas Hann, Gründungsberater und Regionalentwickler

In den vergangenen Jahren waren zwei zentrale Strömungen in der Gesellschaft sichtbar. Einerseits die Angst vor einem ökologischen Kollaps und andererseits die Angst vor dem Kollaps des Geldsystems. Unser Geldsystem und das daran gekoppelte Wirtschaftssystem können nur mit einer ständigen Entnahme aus den planetaren Ressourcen stabil bleiben. Derzeit erleben wir das Ende
dieser Entnahmelogik.

Der Wiederaufbau planetarer und lokaler Ressourcen ist aktuell nur eine Randerscheinung und wird derzeit nur von Stiftungen und anderen Nicht-Gewinnorientierten Organisationen durchgeführt. Zwar werden Nachhaltigkeitsziele groß propagiert, spielen aber bei wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen nur eine Nebenrolle. Lokale Gemeinschaften wie Dörfer, Quartiere und vor allem die Landwirtschaft geraten dadurch zunehmend unter Druck, denn die Ressourcen werden immer knapper und die wertschöpfenden Infrastrukturen schrumpfen bzw. verschwinden aus Dörfern und Kleinstädten ganz. Wo früher lokales Handwerk und Handel durch kleine Kreisläufe möglich waren, verschwindet diese Form der gesellschaftlichen Selbstversorgung immer mehr.
Zentrale Systeme und Globalisierung sind zwar eine logische Konsequenz eines globalen Kapitalismus, dennoch waren die kleinen und mittelständischen Unternehmen einst das Fundament der Gesellschaft. Dafür fehlen zunehmend die Anreize, denn auch die Bürger haben ihre Ersparnisse in großen Institutionen wie Versicherungen und Banken angelegt und damit stehen auch diese privaten Spargelder nicht mehr den Regionen zur Verfügung, in denen die Menschen leben.
Das spüren viele Menschen nun vermehrt daran, dass die kleinen Läden in ihren Dörfern und Regionen schließen und Bauern ihre Arbeit aufgeben müssen, weil sie sich nicht mehr rentieren.

Für mich war die Entwicklung eines alternativen Modells zu dieser globalisierten Wirtschaft nur auf genossenschaftlicher Basis umsetzbar. Dabei war mir klar, dass die bisherigen Parameter der Gewinnmaximierung hier keine Attraktivität für den Bürger mit sich bringen konnten, und so besann ich mich auf das eigentliche Prinzip der Genossenschaft: die Förderung ihrer Mitglieder. Bei dieser Förderung muss nicht das Geld der Indikator des Erfolges sein, sondern auch Mehrwerte im Zusammenleben, der Versorgungssicherheit und ein Dienst an der Gesundheit der Menschen und ihrer Lebensumgebung stellen eine Förderung dar. Somit bieten diese kleinen Wirtschaftseinheiten eine gute Möglichkeit für die Umdeutung von Gewinn an: von monetären Werten zum Wert eines „guten Lebens vor Ort“.


Worin besteht die Chance regenerativer Genossenschaften?

In der Entwicklung lokaler Wertschöpfungskreisläufe.

Regenerative Genossenschaften bilden sich aufgrund der Bedarfe lokaler Gemeinschaften und übernehmen Teile der Daseinsvorsorge (Grundbedürfnisse wie Wärme, Strom, Nahrung, Wohnraum und vor allem Sozialraum). Sie entwickeln lokale Wertschöpfungskreisläufe und ermöglichen es Bürgern, ihre Ersparnisse dort zu investieren, wo sie leben. Bei diesen Investitionen in bürgereigene Infrastrukturen wird darauf geachtet, dass sie lebensdienlich sind und somit die Lebensumgebung der Bürger durch gesunde Natur, nachhaltiges Wirtschaften und eine bessere Wohn- und Gesundheitsversorgung aufwerten. Gleichzeitig schaffen sie einen neuen, konstruktiven Sozialraum, der die Zusammenarbeit und den Austausch fördert und die daraus entstehenden positiven Effekte wiederum den Bürgern zugutekommen lässt. Dabei wird das Prinzip „Planet, People, Profit“ so angewendet, dass möglichst viel Geld in der Region der Genossenschaft bleibt und kreist und die daran beteiligten Mitglieder ihre Renditen auch in Form von Leistungen, Versorgung und anderen Mehrwerten unmittelbar vor Ort erhalten können. Gelder, die in so kleinen Kreisläufen fließen, schaffen Wertschöpfung viel schneller, da das Geld sich lokal viel schneller und verlustfreier bewegen kann. Ein lokal ausgegebener Euro kreist pro Monat mehrfach durch die Gemeinschaft, während ein Euro, der an große Handelsketten oder Onlinehändler bezahlt wird, einfach aus der Region abfließt.


Und das funktioniert bereits?

Es gibt sehr unterschiedliche Beispiele, das einfachste ist ein Wohnprojekt, das über mehrere Generationen geht. Die Vorteile von älteren und jungen Menschen unter einem Dach hat sich über Jahrhunderte bewährt, denn junge Menschen im Haus sind für alte Menschen sehr gesundheitsförderlich, während die Lebenserfahrung der Älteren für die jungen Menschen eine große Hilfe ist und junge Familien gut unterstützt werden können. Kosten werden geteilt und hochwertiger Wohnraum kann sowohl im Individuellen (Privatwohnungen), als auch Kollektiven (Gärten, Werkstätten, Tierhaltung) ideal genutzt werden. Das vermindert auch den Flächenbedarf und ermöglicht biologisches und energieeffizientes Bauen. Ein weiteres Beispiel ist die Erstellung gemeinsamer Infrastruktur für Energie- oder Wärmegewinnung – so konnten wir im Schwarzwald ein ganzes Dorf mit einer gemeinsamen Heizanlage und Nahwärmeversorgung genossenschaftlich versorgen. Treffpunkte und lokale Versorgungszentren für kulturelle und gesundheitliche Angebote sind ebenfalls eine sehr konkrete Möglichkeit für die Schaffung eines guten Lebens in Dörfern, denn in Deutschland zieht sich derzeit die Kirche aus vielen Dörfern und Kleinstädten zurück und hinterlässt Liegenschaften, die meist zentral gelegen sind und wegen Denkmalschutz für nichts anderes genutzt werden können.


Was sind die konkreten Perspektiven auf das Leben der Menschen – was würde sich lokal verändern?

Regionale Wirtschaftskreisläufe sind stabiler und schneller als nationale oder globale Kreisläufe – mit relativ überschaubaren Geldmengen kann damit der Wohlstand am Lebensort der Menschen massiv gesteigert werden. Auch ist seit Jahren bekannt, dass viele Berufe (mehr als 65 Prozent), die unsere Kinder einmal ausüben werden, noch gar nicht existieren – mit lokalen Infrastrukturen können diese endlich wieder dort entstehen, wo die Menschen leben, und so kann das Abwandern der jungen Menschen aus Regionen gestoppt werden (eco, 2017). Landwirte können sich ihre Arbeit wieder leisten und werden zu Dienstleistern ihrer lokalen Gemeinschaften mit der Perspektive, sogar wieder vom Nebenerwerb auf Haupterwerb umzustellen. Das geht konkret, indem sie Klimaschutzaufgaben übernehmen und der lokalen Gemeinschaft die Lebensmittel zur Verfügung stellen, die diese benötigt. Im Gegenzug kann den Landwirten ihre Existenzgrundlage fest zugesagt werden und ihre Produkte auf die Bedürfnisse und Wünsche der regionalen Abnehmer ausgerichtet werden. Auch das Handwerk, soziale und gesundheitsbezogene Berufe können wieder besser bezahlt und lokal erhalten werden, damit alle benötigten Leistungen vor Ort erhalten bleiben.

Viele Menschen haben in den vergangenen Jahren auf bittere Weise erfahren müssen, dass globale Ereignisse ihr Leben stärker beeinflussen, als sie es je für möglich gehalten hätten. Schon seit Jahrzehnten sehen die Menschen die Industrie und Politik in immer weiterer Entfernung zu ihrer eigenen Lebensrealität agieren und müssen erleben, wie politische Entscheidungen zugunsten von multinationalen Konzernen, Banken und Versicherungen getroffen werden und sie als Bürger eine immer kleinere Rolle darin spielen.
Durch lokale Autonomie und Selbstversorgung haben die Bürger eine sehr konkrete Chance, sich selbst wieder zu ermächtigen. Wo bereits seit langem über die negativen Konsequenzen von Shareholder-Value und Lobbykratie geschimpft wird, entstehen plötzlich konkrete Möglichkeiten, die eigenen Ersparnisse diesen großen Strukturen zu entziehen und in die eigene Daseinsvorsorge zu investieren.


Das Dorf als Leitmotiv einer modernen Wirtschaftskultur?
Gemeinsame Werte schaffen Perspektiven und lokale Daseinsvorsorge!

Das Dorf hat wieder ein Querschnittsthema und die Menschen kommen wieder in einen konstruktiven Austausch. Sie erschaffen sich gemeinsam Hoffnung und Perspektiven, die ein sozialer Prozess mit sich bringt. Die Vernetzung der Menschen erfolgt auf Basis gemeinsamer Werte und der einfachste dieser Werte ist die Tatsache, dass man sich einen Lebensort teilt und damit gemeinsame Interessen daran hat, diesen zum Besseren zu gestalten. Es entsteht ein Austausch, der nicht auf Problemen und Streit aufbaut, sondern seinen Fokus auf die Gestaltbarkeit der gemeinsamen Lebensumgebung setzt. Wo kommunale Bürgerbeteiligung den Frust der Bürger kumuliert und die Verwaltung noch mehr mit ihrer strukturellen Einschränkung konfrontiert, entsteht plötzlich ein neuer Handlungsraum aus einer Mischung aus bürgerschaftlichem Engagement und Rück-Überantwortung lokaler Daseinsvorsorge. Eng verbunden mit den regenerativen Genossenschaften sind die Bürgerstiftungen. 


Warum sollte ich als Bürger Stiftungen investieren?

Die Bürgerstiftung ist ein großartiges Instrument, um Land und Liegenschaften aus dem Bau- und Spekulations-Kreislauf zu entnehmen und sie dauerhaft der Dorf- oder Quartiersgemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Wenn ich als Bürger etwas dazu beitragen möchte, dass meine Gemeinde ein Sozialraum bleibt und die Menschen sich dort weiterhin treffen und zusammenarbeiten können, ist die Stiftung ein fabelhaftes Modell, um Geld oder Erbe der dortigen Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Diese Stiftungen können dann die Arbeit der lokalen Impulsgeber (Vereine, Genossenschaften...) so unterstützen, dass die Angebote dauerhaft vor Ort zur Verfügung stehen. Sie binden das Kapital langfristig am Lebensort und sichern auch noch den Enkeln einen Sozialraum, der lebenswert ist. 


Gibt es bereits Erfahrungen mit Bürgerstiftungen?

Hier in der Region gibt es beispielsweise die "Bürgerstiftung Pfalz", die als Dachstiftung bereits viele kleine Dorfstiftungen ins Leben gerufen hat und diese betreut. Gerade hat sie den Bundeswettbewerb gewonnen und ist als eine von zwei Zukunftsregionen zur besonderen Förderung ausgewählt worden. Derzeit entstehen in dieser Region mehrere Bürgergenossenschaften, die von den Bürgerstiftungen vorfinanziert bzw. angeschoben werden.


Welche Empfehlungen würden Sie den Menschen in der Pfalz geben?

Schaut, wo eure Ersparnisse liegen und ob sie euer Leben und das Leben eurer Kinder und Enkel wirklich unterstützen. Übernehmt Verantwortung für euer Kapital und Erbe, indem ihr es zurück an euren Lebensort holt. Ob das Geld seinen Wert verlieren wird, ist keine Frage, also investiert es lieber in eure Grundversorgung und schafft damit die Grundlage für ein gutes Leben jenseits internationaler Kapitalmärkte. Für euch, eure Kinder und eure Enkel.

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